Der Autor hat die Namen seiner Protagonisten mit Bedacht gewählt,
darum zunächst ein Blick ins Wörterbuch - und ein bisschen Phantasie:
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Coleman
Silk, Spitzname Silky Silk: |
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Silky: |
seidig, samtig, glatt, (bedrohlich) sanfte (Stimme) |
ein
geschmeidiger (Boxer), ein aalglatter (Karrierist)? |
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Col: |
1. die Spalte
2. der Pass, der Sattel |
ein
Mann, der dem Tal der Schwarzen, in das er hineingeboren wurde, zu
entkommen versucht? |
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Delphine
Roux: |
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Roux: |
1.
rotblond, fuchsig
2. kritische Zeit (in der Ehe), Zeit der späten Nachfröste |
ein
listiger, berechnender Mensch, der kaltschnäuzig argumentiert? |
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Delphine |
Delfin |
ein
wendiges, intelligentes Tier? |
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Faunia
Farley: |
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Faunia |
Fauna,
die Tierwelt |
ein
Mensch, der sich der Natur und seinen Gesetzen verbundener fühlt
als der Menschenwelt und ihren Zwecken? |
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Nathan
Zuckerman: |
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Nathan |
Nathan
der Weise (G. E. Lessing) |
ein
toleranter Mensch, der alle zu verstehen versucht? |
Die Kontrahenten Coleman Silk und Delphine Roux haben mehr Gemeinsamkeiten,
als sie ahnen. Sie sehen beide gut aus. Beide halten sich für einzigartig
und beziehen ihr Selbstwertgefühl aus dem Glauben, sich aus eigener
Kraft von ihrem Makel, den Fesseln ihrer Abstammung, gelöst zu haben,
er aus dem Neger-Wir, wie es an einer Stelle heißt, sie aus
der Tradition der adligen Walincourts. Beide zeichnen sich durch übertriebenen
Ehrgeiz und Karrieredenken aus.
Der menschliche Makel bezieht sich nicht allein darauf, dass es
in der Zeit, als Coleman seinen Entschluss fasste, als Weißer zu
leben, in Amerika ein schwerer Makel war, ein Schwarzer zu sein oder von
Schwarzen abzustammen. (Der Titel hätte dann eher Der Makel
heißen müssen.) Mit dem menschlichen Makel ist alles gemeint,
was die Menschen als solches ansehen, was sie nicht wahrhaben wollen und
von dem sie sich gerne befreien würden. Der größte Makel
der Menschen ist jedoch das, was jedem Menschen eigen ist und ihn gegenüber
der Natur auszeichnet: das Denken, der Verstand, der Intellekt, denn dieser
Makel ist es, der die anderen Makel definiert. Coleman und vor allem Faunia
glauben, sich durch Sex (wenigstens zeitweise) davon befreien zu können.
Faunia versucht den Makel des Menschen zu mildern, indem sie sich als
Analphabetin ausgibt und niedrigste Arbeiten verrichtet. Um dem Vorwurf
zu entgehen, er wolle sie belehren, behauptet Coleman: Ich werde dich
nur um so leidenschaftlicher vögeln, weil du nicht lesen kannst.
- Gut, sagte sie, dann verstehen wir uns also. Ich vögele nicht
wie diese belesenen Frauen, und ich will nicht gevögelt werden, als
wäre ich eine. Als Coleman ihr sagt, dass ihr Tanz mehr für
ihn bedeutet als Sex, antwortet sie: Ich brauche eigentlich einen Mann,
der älter ist als du. Dem diese Liebesscheiße gründlich
ausgetrieben worden ist. An späterer Stelle schenkt sie einer
Krähe den 300-Dollar-Ring, den sie von Coleman (als Symbol der Liebesscheiße?)
bekommen hat. Faunia: Die Berührung mit uns Menschen hinterläßt
einen Makel. Doch auch die Phantasie der Reinheit ist ekelhaft,
da der Makel unvermeidlich ist. Die Quelle der Machtausübung
und Unterdrückung ist die Fähigkeit lesen zu können, der
Verstand, der Intellekt, das was den Menschen vom Tier unterscheidet.
Coleman hätte schon seit Jahren in den wohlverdienten Ruhestand
gehen können - und, wenn man seine Ignoranz gegenüber seiner
Studenten miteinbezieht, auch sollen. Denn auch wenn er als Wissenschaftler
Recht hat, dass es Mumpitz ist, den Dramen der Antike den Makel der Frauenfeindlichkeit
vorzuwerfen, dann ist es ebenso seine Pflicht als Pädagoge, zu erklären,
warum dieser Vorwurf Mumpitz ist. Und so verständlich es ist, dass
sich ein 71 Jahre alter Professor nicht mehr auf jede Diskussion einlassen
mag, die gerade in Mode kommt, so naheliegend ist es dann aber auch, das
Lehren bleiben zu lassen und sich nur noch der wissenschaftlichen Arbeit
zu widmen. Doch nachdem ihm zu Unrecht der Makel des Rassismus angeheftet
und ihm deswegen die berufliche Anerkennung entzogen wurde und er auch
keine Hoffnung mehr hat, sie je wieder zu erlangen, genehmigt er sich
ein völlig anderes Leben. Plötzlich gefällt es ihm, sich
gehen zu lassen, Nächte lang Jazz (schwarze Musik) zu hören
und zu tanzen. Während seines Berufsleben hätte er sich wohl
kaum erlaubt, übernächtigt in den Vorlesungen zu erscheinen.
Coleman versucht mit seinen 71 Jahren, die Ausschweifungen nachzuholen,
die er sich in seinem Leben versagt hat, er benutzt sogar künstliche
Hilfsmittel, um mit Faunia länger vögeln zu können. Es
stellt sich die Frage, ob er sich überhaupt noch für klassische
Literatur interessiert. Ging es ihm sein ganzes bisheriges Leben denn
nur um Anerkennung?
Delphine versucht nicht nur, ihre weibliche Erscheinung und ihre intellektuelle
Ausstrahlung in Balance zu bringen, sondern für beides gleichzeitig
höchstmögliche Bewunderung zu erzielen. Das ist ihr gutes Recht.
Leider gelingt es der jungen Professorin Roux nicht, den hohen Anspruch,
den sie an sich hat, mit ihrer Sehnsucht nach einem Mann zu vereinbaren.
Das Denken versperrt ihr den Weg. Sie glaubt, weil sie sich selbst für
so überaus geistreich und attraktiv hält, einen Mann finden
zu müssen, der in jeder Hinsicht makellos ist und den sie als ebenbürtig
betrachten kann. Ihre Kollegen in Athena dagegen bezeichnet sie in ihren
Briefen nach Frankreich als kastrierte Ehemänner, als Weicheier und
Windeln und deren Frauen als Speckschwarten (Grasses statt Gracés).
Wegen ihrer Überheblichkeit ist es vergnüglich zu lesen, wie
Delphine sich abmüht, eine Bekanntschaftsanzeige zu formulieren.
Dass sie dann, eitel und ungeduldig, ausgerechnet die gewagteste Fassung
versehentlich an das Kollegium anstatt an die Zeitung versendet, ist ein
Sieg der Geilheit über die Vernunft, eine freud'sche Fehlleistung.
Man merkt dieser Stelle an, dass sie dem Erzähler (und dem Autor)
Spass bereitet hat, großzügig malt er sie aus. Delphine rauft
sich tatsächlich die Haare und verliert in ihrer Furcht vor Hohn
und Spott jegliche Fassung ...
Auch Les Farley ist ein Opfer des Denkens, genauer: der Folgen des Denkens,
der Ideologie. Denn der Vietnamkrieg wurde aus ideologischen Gründen
geführt. Man glaubte an den Dominosteineffekt: Fällt ein Land
dem Kommunismus zu, reißt es das nächste mit sich. Les Farleys
Makel heißt posttraumatische Belastungsstörung. Doch
Les Farley ist nicht nur ein Opfer, er ist auch, aufgrund seiner eigenen
Gedanken, ein Mörder. Er beißt nicht aus Angst wie ein Hund,
den man gequält hat, er handelt nicht zur Selbstverteidigung und
reagiert nicht reflexhaft (wie sich das gegenüber dem chinesischen
Kellner im Harmony Palace allerdings androht), Les Farley "beißt"
aufgrund seiner Überlegung, dass es ungerecht ist, wenn diejenigen,
die in Vietnam waren, leiden müssen, während andere, die sich
davor drücken konnten, das Leben genießen. Der Makel der anderen
ist, dass sie keine posttraumatische Belastungsstörung haben.
Der Erzähler des Romans ist Nathan (der Weise). Er bringt für
alle Figuren Verständnis auf, selbst für Les Farley. Doch Nathan
Zuckerman ist aufgrund einer Krebsoperation impotent und inkontinent.
Warum hat der Autor diese Lösung gewählt? Muss man impotent
sein, um neutral bleiben zu können? Sind alle anderen gefangen im
Konflikt zwischen Sex und Denken? Gibt es Makellosigkeit denn nur bei
vollem Verlust des Triebes oder (wenigstens zeitweise) bei voller Hingabe
an den Trieb? Oder wollte der Autor demonstrieren, dass man auch mit einem
Makel einen wunderbaren Roman schreiben kann?
Zum Schluss noch ein Geldspartipp für ältere Männer: Würzen
Sie Ihr Gemüsesüppchen mit viel weißem Pfeffer, denn weißer
Pfeffer ist (einer Fernsehsendung zufolge) der Hauptbestandteil von Viagra.
Sie werden staunen, wie rasch Sie das vom menschlichen Makel befreit!
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